Ich hab noch nie … | Liebesbrief
Lieber Max,
es gibt viele Dinge, die ich in meinem Leben noch nie getan habe. So hab ich noch nie einen Fallschirmsprung gemacht und ich hab auch noch nie im Lotto gewonnen. Allerdings hab ich auch noch nie daran geglaubt, dass es so etwas wie Seelenverwandtschaft gibt, bis ich dich traf. Meinen Seelenverwandten.
Wir kennen uns bereits unser ganzes Leben. Wir wohnten Tür an Tür und da unsere Eltern gut befreundet waren, wuchsen wir wie Geschwister auf. Wir teilten alles. Jedes Geheimnis, als wir klein waren und später jeden Liebeskummer, als wir erwachsen wurden. So kam, was kommen musste, wir verliebten uns ineinander und führten eine kurze, wenn man es überhaupt so nennen konnte, Beziehung. Wir waren sehr jung und sahen die Welt plötzlich mit unterschiedlichen Augen, setzten unterschiedliche Prioritäten und so gab es ein schnelles Ende. Wir empfanden es beide zu diesem Zeitpunkt als vollkommen richtig und so begann jeder sein eigenes Leben ohne den anderen. Ich könnte natürlich rückblickend behaupten, dass ich es bereuen würde, aber das wäre einfach gelogen. Denn niemand kann sagen, was gewesen wäre. Denn sind Entscheidungen einmal getroffen, sind sie der Weg, den man gewählt hat und gehen soll. Ich denke, dass nichts im Leben ohne Grund passiert. Dass unsere Geschichte längst geschrieben ist, auch wenn wir sie nicht immer sofort verstehen oder nachvollziehen können. Also ließ ich dich gehen. Meinen Max und zog in eine andere Stadt. Weit weg von dir und unserer gemeinsamen Vergangenheit. Ich verbannte alles, was ich für dich empfand, tief in meinem Herzen, und immer, wenn die Gefühle versuchten, an die Oberfläche zu kommen, verbannte ich sie noch tiefer. Denn dort durften sie einfach nicht mehr sein. Ich hatte eine Wahl getroffen und zu der stand ich nun.
So vergingen sehr viele Jahre, in denen ich dein Leben, welches du in der Öffentlichkeit lebtest, wie ein kleines Mädchen, das ihres Lieblingssängers verfolgte. Heimlich! Unbemerkt! Aber nie vollkommen in der Lage, es zu lassen. Doch alles, was ich sah, war das, was ich mir immer für dich gewünscht hatte. Du hattest eine wundervolle Frau und mittlerweile zwei zuckersüße Kinder an deiner Seite, die dir alles, was ich dir nicht geben konnte zu geben schienen. Du war einfach glücklich. Sie sahen deine Besonderheit, die du immer für mich warst und schätzen sie. Hin und wieder schrieben wir uns noch kurze Nachrichten. Tauschten uns aus, gratulierten uns zu besonderen Ereignissen oder Geburtstagen. Sahen uns kurz auf Familienfeiern, aber auch das verstummte mit der Zeit vollkommen. Ich hatte das Gefühl, du wollte diesen Kontakt nicht mehr und das akzeptierte ich. Was blieb mir auch anderes übrig, als das zu tun. Schließlich waren wir beide in einer glücklichen Beziehung angekommen und so versuchte ich, dieses Gefühl, was eben immer anders und besonders war, als eine falsche Erinnerung abzuhaken. Ich musste endlich damit abschließen und sicherte dein Zimmer in meinem Herzen noch zusätzlich mit Ketten und Schlössern, damit es nie wieder geöffnet werden konnte. So war es für mich das Beste.
Allerdings musste ich feststellen, dass sich das Leben nicht immer an das hält, was der Verstand beschlossen hatte. Herzen und Seelen, die zusammengehören, lassen sich nicht einfach trennen und weg sperren. Sie sind viel stärker als man erwartet und versuchen alles um sich abermals zu erreichen. Und so passierte es eines Tages vollkommen unerwartet, wir suchten wieder den Kontakt zueinander. Es waren mittlerweile 20 Jahre vergangen, aber jedes Gespräch, welches wir führten, fühlte sich nie fremd an. Alles war sofort wieder so vertraut, als hätte es die Zeit dazwischen auf keinen Fall gegeben. Ganz im Gegenteil. Alles mit dir fühlte sich absolut gut und richtig an. Es entstanden Gefühle wie ein Kribbeln im Bauch oder ein ständiges Lächeln im Gesicht und ich konnte es nicht länger leugnen. Also beschlossen wir nach ein paar Monaten, dass wir uns doch endlich wieder treffen sollten. Was war schon dabei, wenn sich zwei alte Freunde wiedersehen würden. Schließlich sind wir zusammen aufgewachsen und hatten mehr als unser halbes Leben und etliche Erinnerungen geteilt. Allerdings war es anders, als ich erwartet hatte. Es fühlte sich an, als hätte es die Funkstille zwischen uns nie gegeben. So als läge nur ein Tag und nicht Jahre zwischen unserer letzten Begegnung oder sogar zwei vollständige verschiedene Leben. Es war unglaublich. Danach wurden aus den schüchternen kleinen Schmetterlingen, die sich in meinem Bauch von Tag zu Tag vermehrten, mutige Schwärme, die sich damit beschäftigten, die Ketten und Schlösser von deinem Zimmer zu lösen. Das machten sie verdammt gut, denn ich verliebte mich mit jedem Augenblick, den wir teilten, mehr in dich. Immer wenn ich dachte, dass noch mehr gar nicht möglich war, schafftest du es wieder durch ein Wort, was du schriebst, einen Anruf oder einer Begegnung, dass sie ihre Arbeit fortsetzten. Ich war nicht in der Lage, sie davon abzuhalten. Ich wollte es zulassen, denn alles mit dir fühlte sich anders und so unglaublich gut an. Ich konnte über alles mit dir reden, lachen, wieder lebendig sein. Es gab nichts, was mir peinlich war oder ich dir nicht sagen konnte. So ein Gefühl, welches du mir schon mein ganzes Leben gegeben hattest, wurde mit jedem Treffen wieder größer und stärker. Wir wussten beide, dass das, was wir taten, falsch war, aber wir konnten nicht mehr anders. So wurdest du mein erster Gedanke beim Aufstehen und mein letzter beim Einschlafen und in der Zeit dazwischen gab es auch nur noch dich. Ich wurde süchtig nach dir. Nach deinen Küssen, deinen Berührungen, deiner Stimme und deinen Worten. Einfach nach alles an dir. Ich vermisste dich im selben Moment, wo wir uns trennten und so schön, dass Verliebtsein war, umso schwerer wurde das Vermissen. Ich wollte dich jede Sekunde in meinem Leben haben. Keine verbannten Zimmer, Ketten oder Schlösser mehr. Keine Zeit mehr ohne dich. Ich hab mich noch nie in meinem Leben so sehr nach einem Mann gesehnt und Angst gehabt, ihn abermals zu verlieren, jetzt, wo du endlich wieder da warst und doch nicht mir gehörtest. Ich wollte abends neben dir einschlafen und morgens neben dir aufwachen. Mit dir die Welt sehen und uns eine eigene Welt erschaffen. Ich konnte und wollte nicht mehr ohne dich sein und dabei war mir vollkommen egal, wann der Zeitpunkt kommen würde, dass es endlich so weit sein würde. Ich war mir sicher, dass es dir nicht anders ging. Das spürte ich einfach. So wie ich immer spüren konnte, wie es dir ging. Diese Verbindung hatten wir unser ganzes Leben. Wenn du fielst, empfand ich den Schmerz und so empfand ich jetzt eben auch, dass du einen inneren Kampf führtest. So wie ich. Unsere Seelen waren eins. Das waren sie immer, aber unser Verstand gewann wieder und wieder die Oberhand, bis zu dem Tag, als uns klar wurde, dass wir nicht ewig Zeit hatten. Dass unsere Leben eine zeitliche Begrenzung hatten und so sehr wir uns auch wehrten, wir ohneeinander unvollständig waren. Dank dir wurde meine Liste der Dinge, die ich noch nie erlebt oder an die ich geglaubt hatte kleiner, denn wie gesagt, ich hab noch nie an einen Seelenverwandten geglaubt, bis du mir gezeigt hast, dass es ihn gibt. Das unsere Seelen und unser Leben seit unserer Geburt miteinander verbunden waren. Du bist mein Seelenverwandter und wir haben uns gefunden, obwohl wir es nicht sofort bemerkt haben.
Ich liebe dich für immer und ewig!
Deine Rosalie
Comments